Stadtgut Görlitz
Verkauf und Öffnungszeiten
Direktvermarktung Äpfel
Landeskrone 14a
02827 Görlitz
Mo- FR 7- 16 Uhr
(Pausenzeiten 9:30-10:00 / 13:00-13:30 Uhr)
Direktvermarktung Eier
Hühnerfarm am Loenschen Gut 26
02827 Görlitz
Montag, Mittwoch und Freitag 6:00 – 13:30 Uhr
(Pausenzeiten 9:00- 9:30 / 12:00 – 12:30 Uhr)
Als ich mich das erst mal mit Claudia und Tanja über das Stadtgut Görlitz unterhalte, stehen die Obstbäume in voller Blüte und besonders das zarte Rosa der Apfelblüten verlockt zum Spaziergang zwischen den Baumreihen. Aber die beiden Mitarbeiterinnen sind überzeugt, Herr Schwarzbach, der auf dem Stadtgut für den Obstbau zuständig ist, braucht gerade jetzt keine Spaziergänger. Denn auch in dem 37 Hektar Apfel-, Sauer- und Süßkirschen-Areal, das nach dem Ökostandard des Bioland-Anbaus bewirtschaftet wird, muss der Baumbestand gepflegt und bei Bedarf mit speziellen, extra zugelassenen Mitteln behandelt werden. Und eben heute ist so ein Tag. Da der Betrieb bereits seit 1992 biologisch bewirtschaftet wird, Sorten mit guter Widerstandskraft angebaut werden und konsequent auf ein positives Umfeld für Nützlinge aller Art geachtet wird, ist der Bestand gesund und kräftig. Das zeigt sich zum Beispiel wenn an den vielen Nisthilfen für Vögel in den Beständen, den Insektenhotels und den Blühstreifen, die zwischen den Baumreihen gedeihen.
Das wird sich auch im kommenden, heißen und trockenen Sommer 2018 unter Beweis stellen. Sauerkirschen und Äpfel werden mit einem Minimum an Bewässerung auskommen, dem Umweltstress trotzen und dennoch eine gute Ernte liefern. Aber vom ungewöhnlichen Sommerwetter wissen wir an dem schönen sonnigen Frühjahrstag noch nichts. Wir haben uns verabredet, weil ich schon lange neugierig auf den Betrieb „Stadtgut Görlitz“ bin. Seine wunderschöne Lage am Fuß der Landeskrone ist mir aufgefallen, ebenso wie die Tatsache, dass man in den Bioläden von Dresden und Berlin häufig auf Eier und Äpfel aus Görlitz stößt. Hingegen ist der Betrieb in der Stadt, deren Namen er in der Bezeichnung trägt, scheinbar nicht so bekannt. Wie kommt das?
Claudia Ehrig bestätigt meinen Eindruck und führt es darauf zurück, dass das Stadtgut mit seinem klaren Betriebsprofil Obstbau, Landbau und Legehennenhaltung in erster Linie für die Sortimente der Bioläden, die Gastronomie und die Verarbeiter produziert. Anders als eine Gemüsegärtnerei mit breitem Sortiment tritt damit das Stadtgut nicht unmittelbar im Einkaufskorb der Görlitzer in Erscheinung. „Wobei es tolle regionale Kooperationen gibt“ ergänzt sie und verweist darauf, dass die „Görlitzer Brotschmiede“ die Eier in den Backwaren verarbeitet und in den Görlitzer Bioläden Eier und Äpfel angeboten werden.
Kooperationen, Netzwerke und regionale Kreisläufe – diese Stichworte werden uns in den Gesprächen immer wieder beschäftigen. Zuerst beim Obstbau, gute Ernte setzt eine gute Bestäubungsleistung durch Bienen voraus. Dafür gibt es eine langjährige gemeinsame Arbeit mit dem Ökohof Windfege. Die Bienenvölker des Bioimkers Sven Büchner sorgen für eine ausreichende Bestäubung und es lässt sich bei der Ernte gut nachvollziehen, ob die Standplätze ideal gewählt waren. Zum ersten Mal wird mir klar, dass man auch auf einem Gut, das auf den ersten Blick eine eingeschränkte Bandbreite an Produkten herstellt, einen umfassenden Blick auf alle Zusammenhänge benötigt.
Die 15.000 Legehennen, die in fünf Ställen mit offenem Vorbau und großem Auslauf im Freigelänge? Freigehege? leben, werden fast ausschließlich mit dem ernährt, was das Stadtgut selbst anbaut. Eine 6gliedrige Fruchtfolge sorgt dabei für dauerhaft fruchtbare Böden. Auf über 550 Hektar werden Futtergetreide und sogar Soja angebaut, aus denen in einem Mischwerk die ideale Futterzusammensetzung hergestellt wird. Auch hier geht es also darum, in regionalen Kreisläufen nachhaltig zu arbeiten. Tanja Lamerdin erklärt, die Zusammenhänge seien den Verbrauchern oft nicht einfach zu vermitteln, etwa dass auch in einem biozertifizierten Betrieb eine effiziente Arbeits- und Wirtschaftsweise notwendig ist. Die Vorstellung von ein paar wenigen Hühnern, die für alle Frühstückeier zuständig sein könnten, hält sich hartnäckig als „Idealzustand“. Aber das ist nur dann realistisch, wenn man seine Eier bei Nachbarn auf dem Dorf kauft, die sich einige Tiere als Hobby halten. Ein Betrieb kann und muss anders wirtschaften.
Der Biolegehennenbetrieb sorgt für eine artgerechte und möglichst stressfreie Haltung, in dem auf Auslauf und Sonnenlicht, auf Beschäftigungsmöglichkeiten und eine gute Struktur der Legehennenherden geachtet werden. Bis ins Detail wird den natürlichen Bedürfnissen der Tiere entsprochen. So kommt in der Haltung auf 100 Hennen ein Hahn. „Das beeinflusst das Verhalten der Tiere, sorgt für Ruhe in der Gruppe und unterbindet aggressives Verhalten“, erklärt Claudia Ehrig.
Der September ist einer der besonders schönen Erntemonate für die wichtigste Frucht auf dem Stadtgut, den Apfel. Deswegen haben wir uns jetzt zu einem zweiten Termin verabredet. Da auf dem Gut insgesamt 22 verschiedene Sorten angebaut werden, erstrecken sich Reife und Ernte vom August bis teilweise in den November hinein. Wir treffen uns mitten im September wieder, gerade hat der Rekordsommer eine kleine Pause eingelegt und der Himmel über der Landeskrone ist bedeckt und ein kühler Wind streicht über die Plantagenreihen. Moderne Erntemaschinen, die sowohl die Arbeit erleichtern als auch die Qualität der Früchte besser sichern können als andere Methoden, sind jetzt im Einsatz. Investitionen in Technik und Know-how gehören zur langfristigen Strategie von Geschäftsführer Frank Richter. Effizienz und Kostenkontrolle spielen auch im Biobetrieb eine große Rolle, wenn die guten Produkte „gewachsen und gelegt“ sind und Görlitz langfristig konkurrenzfähig bleiben sollen. Obwohl ich die Gelegenheit nutzen drauf, jetzt mitten in der Ernte einen ganzen Tag auf dem Gut zu verbringen, ist von Hektik und Anspannung bei den Mitarbeitern nichts zu merken. Ob bei der Ernte, der Sortierung, der Vorbereitung für die Lagerung – auf der Plantage und in der großen Apfelhalle herrschte eine konzentrierte aber freundliche Arbeitsatmosphäre.
Beim Blick auf die verschiedenen, bereits geernteten Sortenchargen kommt der Teil meines zweiten Besuchs, auf den ich mich zugegebenermaßen ganz besonders gefreut habe: probieren, ausgiebig probieren. Ob der „Piros“ mit dem lockeren, fast zarten Fruchtfleisch oder der knackig-saftige „Gala“, die Sorten haben einen ausgeprägten und individuellen Charakter. Es ist wichtig, genau im Blick zu behalten, welche Sorten bei den Verbrauchern gut ankommen, in der Oberlausitz optimal wachsen und sich gegen Schädlinge und Krankheiten mit wenig unterstützender Pflege am besten behaupten können. Anbauentscheidungen sind langfristige Entscheidungen, die gut durchdacht und vorbereitet werden wollen. Das nächste Projekt ist ein lang gehegter Wunsch: Birnen auf dem Stadtgut anbauen. Das Vorhaben wurde aber solange zurückgestellt, bis für den Bioanbau geeignete Sorten zur Verfügung standen. Während ich meine Lieblingsapfelsorte des Tages, den „Champion“, probiere, freue ich mich im Stillen auf die Verkostung der Birnen. Wann wird es wohl so weit sein?
Den Hühnern möchte ich aber nun endlich die Aufmerksamkeit widmen, die diesem wichtigen Betriebszweig des Stadtguts zukommt. Immerhin ist der Löwenanteil der gesamten 600 Hektar fast ausschließlich ihrer Ernährung gewidmet. Auch in den Ställen, der Sortierung und der Verpackungsstation ist zweckmäßige und moderne Technik anzutreffen, die den Mitarbeitern die Arbeit erleichtert. Aber Claudia Ehrig gibt zu, die Schnelligkeit mit denen die Mitarbeiterinnen in der Eiersortierung am Morgen die frisch Gelegten vom Transportband nehmen, ist ihr ein bisschen unheimlich. „Natürlich habe ich mitgearbeitet um zu verstehen, wie die Abläufe funktionieren“ erzählt sie, „aber ich musste das Band langsamer einstellen, weil ich einfach nicht auf diese Arbeitsgeschwindigkeit gekommen bin. Erfahrung und Können“ fasst sie zusammen und lächelt.
Ihre Aufgabe ist es, über das Stadtgut zu informieren und Veranstaltungen und Projekte zu planen. Besonders gefragt sind zum Beispiel die geführten Ausflüge für Kindergartengruppen durch den Obstanbaubereich. Auch wenn mich das durchaus interessiert, wir sind immer noch bei den Hühnern und eine Frage beschäftigt mich die ganze Zeit: Was wird denn aus den Tieren, die keine Eier mehr legen? So ein Hühnerarbeitsleben ist auf einem Biobetrieb vergleichsweise lang aber nach ca. anderthalb Jahren geht die Legeleistung doch so zurück, dass die Haltung dann nicht mehr wirtschaftlich wäre. Den Stadtguthühnern steht eine kulinarisch-regionale Verwendung bevor, sie werden im Gut Krauscha zu Suppen, Hühnerbrühe oder Frikassee verarbeitet. Also wieder regionale Kreisläufe und Kooperation, denn die Geschäftsführer des Stadtguts, Frank Richter und Hans Joachim Mautschke, verbindet die langjährige gemeinsame Arbeit auf dem damals noch viel größeren Stadtgut Görlitz, zu dem auch noch Krauscha gehörte.
In der DDR war das volkseigene Gut ein großer Arbeitgeber und bewirtschaftete ausgedehnte Flächen. Nach der Wende fanden zahlreiche ABM Kräfte hier vorübergehend Beschäftigung und die Stadt Görlitz entschied sich frühzeitig für eine biologische Bewirtschaftungsform. Aber die Größe der Flächen, die Komplexität der Bewirtschaftung und die sich vollständig verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machten bald grundlegende Reformen nötig und das Gut wurde ausgeschrieben. Das Team Richter und Mautschke gewann diese Ausschreibung zusammen mit einem dritten Partner, mit einem gut strukturierten Konzept, das hohen qualitativen Anspruch mit einem klaren wirtschaftlichen Ansatz verband. Dass sich die Betriebe Stadtgut Görlitz und Gut Krauscha nach einer Weilte organisatorisch trennten, war wiederum eine strategische Entscheidung. Kleinere Einheiten, deren Profil noch genauer auf die Marktbedingungen angepasst ist, sind in einer Kooperation besser positioniert als ein schwerfälligeres, größeres Unternehmen mit zahlreicheren Standbeinen.
Während wir vom Steinberg zurück in Richtung Landeskrone gehen, sprechen wir auch über die sieben Hektar Streuobstwiesen, die das Stadtgut besitzt. Darauf befinden sich Bäume mit alten, teilweise selten gewordenen Sorten. Für einen wirtschaftlichen Anbau sind diese heute nicht mehr geeignet, aber sie sind eine Art kulturell-kulinarisches Regionalgedächtnis. Beim Stichwort „Lausitzer Nelkenapfel“ werde ich sofort hellhörig, sozusagen in meiner weiteren Funktion als engagierte Slow Food Mitstreiterin. Denn genau diese alte Sorte ist der offizielle „Archepassagier“ der Oberlausitz.
Unter dem Begriff „Arche des guten Geschmacks“ fördert und bewahrt Slow Food alte Sorten, traditionelle Produkte und ursprüngliche Herstellungsweisen, die zum Gedächtnisschatz von Regionen zählen. Im Fall von Obstsorten ist es ein besonderes Anliegen, diese vor dem Vergessen zu bewahren, ihren besonderen Geschmack zu erhalten und zu pflegen und ihre Eigenschaften dem Genießer zu vermitteln. Das geht nur, wenn man dafür sorgt, dass der Bestand durch Neuanpflanzungen erhalten werden kann, dafür sind Kooperationen und Partner von großer Bedeutung.
Zaghaft frage ich Claudia Ehrig und Tanja Lamerdin, ob man mit der Idee bei Geschäftsführer Frank Richter und Obstbauleiter Mike Schwarzbach ein offenes Ohr finden würde? Tanja wiegt nachdenklich den Kopf und Claudia meint „hm, das muss man mal ansprechen“, aber dann tauschen die Beiden einen lustig-verschwörerischen Blick und ich hoffe, dass ich für die Idee an die richtigen Menschen herangetreten bin. Denn schließlich werden regionale Identität und aktive Kooperationen hier großgeschrieben. Da wird sich vielleicht für das eine oder andere Nelkenapfelbäumchen ein Platz finden? Ich bin da optimistisch.
Weitere kulinarsche Besonderheiten der Region stelle ich hier vor.
Stadtgut Görlitz
Verkauf und Öffnungszeiten
Direktvermarktung Äpfel
Landeskrone 14a
02827 Görlitz
Mo- FR 7- 16 Uhr
(Pausenzeiten 9:30-10:00 / 13:00-13:30 Uhr)
Direktvermarktung Eier
Hühnerfarm am Loenschen Gut 26
02827 Görlitz
Montag, Mittwoch und Freitag 6:00 – 13:30 Uhr
(Pausenzeiten 9:00- 9:30 / 12:00 – 12:30 Uhr)
Als ich mich das erst mal mit Claudia und Tanja über das Stadtgut Görlitz unterhalte, stehen die Obstbäume in voller Blüte und besonders das zarte Rosa der Apfelblüten verlockt zum Spaziergang zwischen den Baumreihen. Aber die beiden Mitarbeiterinnen sind überzeugt, Herr Schwarzbach, der auf dem Stadtgut für den Obstbau zuständig ist, braucht gerade jetzt keine Spaziergänger. Denn auch in dem 37 Hektar Apfel-, Sauer- und Süßkirschen-Areal, das nach dem Ökostandard des Bioland-Anbaus bewirtschaftet wird, muss der Baumbestand gepflegt und bei Bedarf mit speziellen, extra zugelassenen Mitteln behandelt werden. Und eben heute ist so ein Tag. Da der Betrieb bereits seit 1992 biologisch bewirtschaftet wird, Sorten mit guter Widerstandskraft angebaut werden und konsequent auf ein positives Umfeld für Nützlinge aller Art geachtet wird, ist der Bestand gesund und kräftig. Das zeigt sich zum Beispiel wenn an den vielen Nisthilfen für Vögel in den Beständen, den Insektenhotels und den Blühstreifen, die zwischen den Baumreihen gedeihen.
Das wird sich auch im kommenden, heißen und trockenen Sommer 2018 unter Beweis stellen. Sauerkirschen und Äpfel werden mit einem Minimum an Bewässerung auskommen, dem Umweltstress trotzen und dennoch eine gute Ernte liefern. Aber vom ungewöhnlichen Sommerwetter wissen wir an dem schönen sonnigen Frühjahrstag noch nichts. Wir haben uns verabredet, weil ich schon lange neugierig auf den Betrieb „Stadtgut Görlitz“ bin. Seine wunderschöne Lage am Fuß der Landeskrone ist mir aufgefallen, ebenso wie die Tatsache, dass man in den Bioläden von Dresden und Berlin häufig auf Eier und Äpfel aus Görlitz stößt. Hingegen ist der Betrieb in der Stadt, deren Namen er in der Bezeichnung trägt, scheinbar nicht so bekannt. Wie kommt das?
Claudia Ehrig bestätigt meinen Eindruck und führt es darauf zurück, dass das Stadtgut mit seinem klaren Betriebsprofil Obstbau, Landbau und Legehennenhaltung in erster Linie für die Sortimente der Bioläden, die Gastronomie und die Verarbeiter produziert. Anders als eine Gemüsegärtnerei mit breitem Sortiment tritt damit das Stadtgut nicht unmittelbar im Einkaufskorb der Görlitzer in Erscheinung. „Wobei es tolle regionale Kooperationen gibt“ ergänzt sie und verweist darauf, dass die „Görlitzer Brotschmiede“ die Eier in den Backwaren verarbeitet und in den Görlitzer Bioläden Eier und Äpfel angeboten werden.
Kooperationen, Netzwerke und regionale Kreisläufe – diese Stichworte werden uns in den Gesprächen immer wieder beschäftigen. Zuerst beim Obstbau, gute Ernte setzt eine gute Bestäubungsleistung durch Bienen voraus. Dafür gibt es eine langjährige gemeinsame Arbeit mit dem Ökohof Windfege. Die Bienenvölker des Bioimkers Sven Büchner sorgen für eine ausreichende Bestäubung und es lässt sich bei der Ernte gut nachvollziehen, ob die Standplätze ideal gewählt waren. Zum ersten Mal wird mir klar, dass man auch auf einem Gut, das auf den ersten Blick eine eingeschränkte Bandbreite an Produkten herstellt, einen umfassenden Blick auf alle Zusammenhänge benötigt.
Die 15.000 Legehennen, die in fünf Ställen mit offenem Vorbau und großem Auslauf im Freigelänge? Freigehege? leben, werden fast ausschließlich mit dem ernährt, was das Stadtgut selbst anbaut. Eine 6gliedrige Fruchtfolge sorgt dabei für dauerhaft fruchtbare Böden. Auf über 550 Hektar werden Futtergetreide und sogar Soja angebaut, aus denen in einem Mischwerk die ideale Futterzusammensetzung hergestellt wird. Auch hier geht es also darum, in regionalen Kreisläufen nachhaltig zu arbeiten. Tanja Lamerdin erklärt, die Zusammenhänge seien den Verbrauchern oft nicht einfach zu vermitteln, etwa dass auch in einem biozertifizierten Betrieb eine effiziente Arbeits- und Wirtschaftsweise notwendig ist. Die Vorstellung von ein paar wenigen Hühnern, die für alle Frühstückeier zuständig sein könnten, hält sich hartnäckig als „Idealzustand“. Aber das ist nur dann realistisch, wenn man seine Eier bei Nachbarn auf dem Dorf kauft, die sich einige Tiere als Hobby halten. Ein Betrieb kann und muss anders wirtschaften.
Der Biolegehennenbetrieb sorgt für eine artgerechte und möglichst stressfreie Haltung, in dem auf Auslauf und Sonnenlicht, auf Beschäftigungsmöglichkeiten und eine gute Struktur der Legehennenherden geachtet werden. Bis ins Detail wird den natürlichen Bedürfnissen der Tiere entsprochen. So kommt in der Haltung auf 100 Hennen ein Hahn. „Das beeinflusst das Verhalten der Tiere, sorgt für Ruhe in der Gruppe und unterbindet aggressives Verhalten“, erklärt Claudia Ehrig.
Der September ist einer der besonders schönen Erntemonate für die wichtigste Frucht auf dem Stadtgut, den Apfel. Deswegen haben wir uns jetzt zu einem zweiten Termin verabredet. Da auf dem Gut insgesamt 22 verschiedene Sorten angebaut werden, erstrecken sich Reife und Ernte vom August bis teilweise in den November hinein. Wir treffen uns mitten im September wieder, gerade hat der Rekordsommer eine kleine Pause eingelegt und der Himmel über der Landeskrone ist bedeckt und ein kühler Wind streicht über die Plantagenreihen. Moderne Erntemaschinen, die sowohl die Arbeit erleichtern als auch die Qualität der Früchte besser sichern können als andere Methoden, sind jetzt im Einsatz. Investitionen in Technik und Know-how gehören zur langfristigen Strategie von Geschäftsführer Frank Richter. Effizienz und Kostenkontrolle spielen auch im Biobetrieb eine große Rolle, wenn die guten Produkte „gewachsen und gelegt“ sind und Görlitz langfristig konkurrenzfähig bleiben sollen. Obwohl ich die Gelegenheit nutzen drauf, jetzt mitten in der Ernte einen ganzen Tag auf dem Gut zu verbringen, ist von Hektik und Anspannung bei den Mitarbeitern nichts zu merken. Ob bei der Ernte, der Sortierung, der Vorbereitung für die Lagerung – auf der Plantage und in der großen Apfelhalle herrschte eine konzentrierte aber freundliche Arbeitsatmosphäre.
Beim Blick auf die verschiedenen, bereits geernteten Sortenchargen kommt der Teil meines zweiten Besuchs, auf den ich mich zugegebenermaßen ganz besonders gefreut habe: probieren, ausgiebig probieren. Ob der „Piros“ mit dem lockeren, fast zarten Fruchtfleisch oder der knackig-saftige „Gala“, die Sorten haben einen ausgeprägten und individuellen Charakter. Es ist wichtig, genau im Blick zu behalten, welche Sorten bei den Verbrauchern gut ankommen, in der Oberlausitz optimal wachsen und sich gegen Schädlinge und Krankheiten mit wenig unterstützender Pflege am besten behaupten können. Anbauentscheidungen sind langfristige Entscheidungen, die gut durchdacht und vorbereitet werden wollen. Das nächste Projekt ist ein lang gehegter Wunsch: Birnen auf dem Stadtgut anbauen. Das Vorhaben wurde aber solange zurückgestellt, bis für den Bioanbau geeignete Sorten zur Verfügung standen. Während ich meine Lieblingsapfelsorte des Tages, den „Champion“, probiere, freue ich mich im Stillen auf die Verkostung der Birnen. Wann wird es wohl so weit sein?
Den Hühnern möchte ich aber nun endlich die Aufmerksamkeit widmen, die diesem wichtigen Betriebszweig des Stadtguts zukommt. Immerhin ist der Löwenanteil der gesamten 600 Hektar fast ausschließlich ihrer Ernährung gewidmet. Auch in den Ställen, der Sortierung und der Verpackungsstation ist zweckmäßige und moderne Technik anzutreffen, die den Mitarbeitern die Arbeit erleichtert. Aber Claudia Ehrig gibt zu, die Schnelligkeit mit denen die Mitarbeiterinnen in der Eiersortierung am Morgen die frisch Gelegten vom Transportband nehmen, ist ihr ein bisschen unheimlich. „Natürlich habe ich mitgearbeitet um zu verstehen, wie die Abläufe funktionieren“ erzählt sie, „aber ich musste das Band langsamer einstellen, weil ich einfach nicht auf diese Arbeitsgeschwindigkeit gekommen bin. Erfahrung und Können“ fasst sie zusammen und lächelt.
Ihre Aufgabe ist es, über das Stadtgut zu informieren und Veranstaltungen und Projekte zu planen. Besonders gefragt sind zum Beispiel die geführten Ausflüge für Kindergartengruppen durch den Obstanbaubereich. Auch wenn mich das durchaus interessiert, wir sind immer noch bei den Hühnern und eine Frage beschäftigt mich die ganze Zeit: Was wird denn aus den Tieren, die keine Eier mehr legen? So ein Hühnerarbeitsleben ist auf einem Biobetrieb vergleichsweise lang aber nach ca. anderthalb Jahren geht die Legeleistung doch so zurück, dass die Haltung dann nicht mehr wirtschaftlich wäre. Den Stadtguthühnern steht eine kulinarisch-regionale Verwendung bevor, sie werden im Gut Krauscha zu Suppen, Hühnerbrühe oder Frikassee verarbeitet. Also wieder regionale Kreisläufe und Kooperation, denn die Geschäftsführer des Stadtguts, Frank Richter und Hans Joachim Mautschke, verbindet die langjährige gemeinsame Arbeit auf dem damals noch viel größeren Stadtgut Görlitz, zu dem auch noch Krauscha gehörte.
In der DDR war das volkseigene Gut ein großer Arbeitgeber und bewirtschaftete ausgedehnte Flächen. Nach der Wende fanden zahlreiche ABM Kräfte hier vorübergehend Beschäftigung und die Stadt Görlitz entschied sich frühzeitig für eine biologische Bewirtschaftungsform. Aber die Größe der Flächen, die Komplexität der Bewirtschaftung und die sich vollständig verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machten bald grundlegende Reformen nötig und das Gut wurde ausgeschrieben. Das Team Richter und Mautschke gewann diese Ausschreibung zusammen mit einem dritten Partner, mit einem gut strukturierten Konzept, das hohen qualitativen Anspruch mit einem klaren wirtschaftlichen Ansatz verband. Dass sich die Betriebe Stadtgut Görlitz und Gut Krauscha nach einer Weilte organisatorisch trennten, war wiederum eine strategische Entscheidung. Kleinere Einheiten, deren Profil noch genauer auf die Marktbedingungen angepasst ist, sind in einer Kooperation besser positioniert als ein schwerfälligeres, größeres Unternehmen mit zahlreicheren Standbeinen.
Während wir vom Steinberg zurück in Richtung Landeskrone gehen, sprechen wir auch über die sieben Hektar Streuobstwiesen, die das Stadtgut besitzt. Darauf befinden sich Bäume mit alten, teilweise selten gewordenen Sorten. Für einen wirtschaftlichen Anbau sind diese heute nicht mehr geeignet, aber sie sind eine Art kulturell-kulinarisches Regionalgedächtnis. Beim Stichwort „Lausitzer Nelkenapfel“ werde ich sofort hellhörig, sozusagen in meiner weiteren Funktion als engagierte Slow Food Mitstreiterin. Denn genau diese alte Sorte ist der offizielle „Archepassagier“ der Oberlausitz.
Unter dem Begriff „Arche des guten Geschmacks“ fördert und bewahrt Slow Food alte Sorten, traditionelle Produkte und ursprüngliche Herstellungsweisen, die zum Gedächtnisschatz von Regionen zählen. Im Fall von Obstsorten ist es ein besonderes Anliegen, diese vor dem Vergessen zu bewahren, ihren besonderen Geschmack zu erhalten und zu pflegen und ihre Eigenschaften dem Genießer zu vermitteln. Das geht nur, wenn man dafür sorgt, dass der Bestand durch Neuanpflanzungen erhalten werden kann, dafür sind Kooperationen und Partner von großer Bedeutung.
Zaghaft frage ich Claudia Ehrig und Tanja Lamerdin, ob man mit der Idee bei Geschäftsführer Frank Richter und Obstbauleiter Mike Schwarzbach ein offenes Ohr finden würde? Tanja wiegt nachdenklich den Kopf und Claudia meint „hm, das muss man mal ansprechen“, aber dann tauschen die Beiden einen lustig-verschwörerischen Blick und ich hoffe, dass ich für die Idee an die richtigen Menschen herangetreten bin. Denn schließlich werden regionale Identität und aktive Kooperationen hier großgeschrieben. Da wird sich vielleicht für das eine oder andere Nelkenapfelbäumchen ein Platz finden? Ich bin da optimistisch.
Weitere kulinarsche Besonderheiten der Region stelle ich hier vor.